Korruption und Flucht der Aída Merlano

Im vergangenen Jahr folgte ich im argentinischen Radio dem Kommentar zu einem Fussballspiel zwischen den argentinischen Erstligisten Boca Juniors und River Plate. Aufgrund des Chaos und der sozialen Unruhen, die Hooligans beider Mannschaften rund um das Stadion verursachten, rief der Kommentator aus: «Man sollte die Polizei rufen, das ist nicht die Schweiz!» Eine ähnliche Äusserung hörte ich am 21. November 2019, als der ehemalige Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peñalosa, angesichts einer Serie von Protesten und Demonstrationen gegen die kolumbianische Nationalregierung die staatlichen Stellen aufforderte, stärker zu intervenieren und mögliche Vandalenakte zu verhindern. Er meinte: «Die ganze Polizei muss ausrücken, das ist hier nicht die Schweiz!»

Die Schweiz als Inbegriff für Recht und Ordnung

Ich lachte jeweils aufgrund dieser spontanen Vergleiche mit der Schweiz. Die Schweiz scheint in Lateinamerika definitiv ein Weltstandard in Bezug auf Ordnung und Unbestechlichkeit zu sein. Die soeben genannten Beispiele können in eine lange Liste von insbesondere Korruptionsfällen in Kolumbien aufgenommen werden, in denen die Verteidiger von Moral und guten Sitten die Schweiz als Vorbild und Modell für globale Transparenz anpriesen. Die kolumbianische Regierungspraxis unterscheidet sich nämlich häufig auch heute noch nicht wirklich von dem, was die lange Geschichte des Landes prägte: Korruption und schlechte Praktiken.

Der Fall der Ex-Senatorin Aída Merlano

Das aktuellste Juwel in der Krone des Landes ist der Fall der Ex-Senatorin Aída Merlano, die Tausende von Wählerstimmen mit schmutzigem Geld gekauft hatte, um in den Kongress der Republik gewählt zu werden und deshalb zu einer Zuchthausstrafe aufgrund von Korruption verurteilt wurde. Gängige Theorien besagen, dass das Geld für ihre Wahl von einigen mächtigen Familien stammte, die mit Zustimmung der Senatorin und ihrer Verbündeten Milliardenverträge durch den Kongress bringen wollten. Das Interessante an dieser Geschichte ist jedoch nicht unbedingt das Gesetzesvergehen per se, sondern die Beobachtung, dass sich die kolumbianische Justiz ziemlich «schweizerisch» verhielt und diese Frau gefangen nahm und rechtmässig verurteilte.

Hier endete die Story jedoch noch nicht, sondern ging weiter wie eine fabelhafte Geschichte des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez. Die eigentlich streng bewachte Gefangene seilte sich nämlich vor einigen Monaten bei einem Zahnarztbesuch (zum Zweck der Verschönerung ihres Lächelns – kein Witz) aus einem Fenster der Praxis mitten in Bogotá ab. Ein Komplize auf einem Motorrad wartete dort bereits auf sie.

Die Flucht von Aída Merlano (Quelle: www.elcolombiano.com)

Überwachungskameras zeigen die Flucht auch auf Video (spanisch: https://www.youtube.com/watch?v=zWQzbsd3qak, deutsch: https://video.tagesspiegel.de/flucht-beim-zahnarztbesuch-inhaftierte-politikerin-seilt-sich-ab.html)

Es ist nicht sicher, ob allenfalls der Staat im Rahmen einer Verschwörung bei der Flucht die Finger im Spiel hatte. Allenfalls unterstützten auch die mächtigen Familien, von denen die Korruptionsgelder stammten, Aída Merlano beim Verschwinden, da sie zu viel wusste und nicht auspacken sollte. Eine gross angelegte Fahndungsaktion blieb auf jeden Fall ohne Erfolg und Aída Merlano bleibt bis zum heutigen Tag verschwunden.

Nachtrag vom 28.01.2020:

Nach fast vier Monaten Flucht wurde Aída Merlano in Maracaibo/Venezuela zusammen mit ihrem Fluchthelfer und Geliebten gefasst. Aufgrund der schlechten Beziehungen zwischen dem kolumbianischen Präsidenten Duque und dem (offiziellen) venezolanischen Präsidenten Maduro ist aber fraglich, ob sie ausgeliefert wird… die Story geht weiter…

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