30 Apr Vorsicht ist besser als Nachsicht
Bekannte in der Schweiz fragen mich häufiger, ob das Leben in Kolumbien als Ausländerin denn nicht gefährlich sei. Ich verspüre dann meist den Impuls, das zu verneinen. Schliesslich sind die Zeiten des blutigen Konflikts im Land Tempi passati (dass der im Jahr 2016 unterzeichnete Friedensvertrag nicht nur Frieden zur Folge hatte, wird dann mal in einem anderen Artikel thematisiert). Zudem haben die Akteure im nach wie vor florierenden kolumbianischen Drogenhandel Lukrativeres zu tun, als unbedarften Touristinnen ein Haar zu krümmen und damit die internationalen Medien auf sich aufmerksam zu machen.
Ehrliche Finder
Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, berichte ich dann gerne von einem persönlichen Erlebnis. Meine Schweizer Freundin liess ihr Portemonnaie in einem Strassenrestaurant im einer kleinen kolumbianischen Stadt liegen, was sie erst Stunden später bemerkte. Eine Restaurantangestellte händigte ihr das Portemonnaie jedoch aus, als sie wenig hoffnungsvoll dort nachfragte. Es war von ehrlichen Passanten gefunden und abgegeben worden.
In den letzten Jahren strömten zudem immer mehr Touristen ins Land, was auch damit zusammenhängt, dass viele Orte in Kolumbien sicherer geworden sind.
Zunahme der internationalen Touristenströme in Kolumbien (Quelle: https://www.statista.com/statistics/804092/number-international-tourists-colombia)
Wie ist das Sicherheitsgefühl?
Natürlich aber erreicht Kolumbien in Bezug auf die Sicherheit nicht den Standard der Schweiz oder anderer Industrienationen. Ich erlebte in Kolumbien immer mal wieder Situationen, in denen mich ein leichtes Gefühl von Unbehagen streifte. Zu diesen Unwohlsein-Momenten gehören zum Beispiel die folgenden:
1. Wenn die Software-Programme auf dem Computer ständig doppelt überprüfen, dass man tatsächlich die Person ist, die sich soeben aus Kolumbien ins System einloggen wollte.
2. Wenn kolumbianische Familienangehörige und Freunde die Verabschiedung immer mit «Ten cuidado» («Sei vorsichtig») ergänzen, wenn man das Haus verlässt, auch wenn es nur in den Supermarkt um die Ecke geht.
3. Wenn ich auf dem Trottoir intuitiv zur Seite weiche, wenn mir ein Töff mit Beifahrer entgegenkommt (Überfälle vom Motorrad aus sind sehr häufig – der Beifahrer greift an, springt zurück auf den Beifahrersitz und weg sind sie).
Ein männlicher Sozius auf dem Motorrad ist in einigen kolumbianischen Städten verboten, weil auf diese Art viele Überfälle verübt werden (Quelle: https://www.radioipiales.co/2016/04/decreto-restringe-circulacion-de-motocicletas-con-parrillero/)
4. Wenn darauf zu achten ist, dass die Unterschriften auf offiziellen Dokumenten leicht über den gedruckten Text ragen, damit nicht jemand nachträglich eine Unterschrift abändern kann.
5. Wenn ich Fragen von Bekannten und Nachbarn zu Ferienabwesenheiten und längeren Reisen immer ausweichend beantworte, damit keine Informationen rausgehen, wann die Wohnung leer steht.
6. Wenn bei Gewittern bestimmte Stadtviertel zu meiden sind, weil die überfluteten Strassen dazu führen, dass die Polizisten auf den Strassen nicht mehr präsent sind und das von Dieben sofort ausgenutzt wird.
7. Wenn man im Stadtbus die vorderen Plätze in der Nähe des Fahrers bevorzugen sollte, weil sich jemand im hinteren Teil schnell unbemerkt neben einen setzen und bestehlen kann.
Wie soll man reagieren?
Ich habe nur einmal erlebt, dass mir ein Motorradfahrer entgegenkam und meine Tasche entreissen wollte. Diesen sehr tölpelhaften Versuch quittierte ich jedoch lediglich mit einem mitleidigen Lachen. Ansonsten ist mir in Kolumbien nie etwas passiert, auch nicht abseits der Touristenpfade. Mit wacher Aufmerksamkeit und einigen Vorsichtsmassnahmen ist man doch (fast immer) auf der sicheren Seite. Es ist nur das leicht beeinträchtigte Sicherheitsgefühl, das für mich als Schweizerin etwas gewöhnungsbedürftig war. Und so soll dieser Artikel auch sicher niemanden von einem (absolut lohnenswerten) Besuch in Kolumbien abhalten!
Quelle Titelbild: https://telemedellin.tv/prohibido-parrillero-hombre-bogota/240474/
Zurück zum Blog
No Comments