19 Mai Adiós, Cafe Stepping Stone!
Es war das erste Mal nach über einem Jahr, dass ich wieder Auberginen ass. Das typische Mittagessen in Kolumbien beinhaltet doch eher Reis, Fleisch und zwei Blätter grünen Salat. Das Cafe Stepping Stone in der kolumbianischen Küstenstadt Cartagena hob sich davon mit seiner vegetarischen Speisekarte deutlich ab. Es richtete sein Angebot damit vor allem an internationale Touristen und Touristinnen.
Eingang des Cafe Stepping Stone (Bild: Cafe Stepping Stone)
Ein Café als Sozialunternehmen (Social Enterprise)
Eine weitere Besonderheit des Cafés war, dass es sich um ein Sozialunternehmen handelte. Der erwirtschaftete Gewinn spielte also nur eine Nebenrolle, im Vordergrund standen der soziale Zweck und gesellschaftliche Nutzen der Geschäftstätigkeit. Das Cafe Stepping Stone setzte dabei auf die Berufsqualifizierung benachteiligter junger Erwachsener. Sie fanden im Café einen Ausbildungsplatz als KöchInnen, KellnerInnen etc. Das Café diente damit als Sprungbrett in eine zukünftiges formales Beschäftigungsverhältnis. Gegründet wurde das Sozialunternehmen im Jahr 2017 von drei jungen AustralierInnen, die mit viel Idealismus die Ungleichheit und Armut in Cartagena bekämpfen wollten.
Zwiespältiges Cartagena
Cartagena im Norden von Kolumbien an der Atlantikküste besticht durch ein karibisches Flair und eine wunderschöne historische Altstadt, die jedes Jahr mehr Touristen anzieht.
Die Stadt mit ihren Häusern im Kolonialstil ist ein Touristenmagnet (Eigenes Foto)
Cartagena ist aber auch die kolumbianische Stadt mit der höchsten Armutsquote. 25,9 % der Einwohner leben unter dem Existenzminimum. Sie verfügen über ein Einkommen von weniger als 257 433 kolumbianischen Pesos (umgerechnet rund CHF 64) pro Monat.[1] Gerade in den Aussenbezirken von Cartagena sind die Lebensbedingungen prekär, wie wir dies im Blogartikel „Die Jugendbanden von Nelson Mandela“ auch schon genauer beschrieben haben.
Mitarbeitende ohne Berufserfahrung gesucht
Um die Mitarbeitenden zu rekrutieren, arbeitete das Café mit Stiftungen zusammen, die bereits in den ärmeren Vierteln tätig waren. Die Anstellungskriterien lauteten: aus ärmsten Wohnvierteln, 18 bis 25 Jahre alt, ohne Berufserfahrung, kein Schulabschluss, Verantwortung für die Familie, Minderheiten wie Afrokolumbianer oder indigene Abstammung bevorzugt, motiviert und engagiert. In einer zweimonatigen Probezeit wurde geschaut, ob die Mitarbeitenden stetig dazulernen und ihr Wissen in ihrem alltäglichen Leben umsetzen können.
Trainings zu Gesundheit, Ernährung oder Antidiskriminierung
Die Mitarbeitenden absolvierten nicht nur Trainings für unmittelbar arbeitsrelevante Tätigkeiten, sondern erhielten auch Trainings zu Themen, die ihr gesamtes Leben betrafen. Der Geschäftsinhaber Tom, mit dem ich im Oktober 2019 ein Interview führte, erläuterte die Idee dahinter: «Ursprünglich war unser Plan, ihnen nur arbeitsbezogene Dinge beizubringen. Wir dachten, sie wissen ja, wie sie ihr Leben zu leben haben. Aber dann hatten wir die Situation, dass einige Mitarbeitende sich weigerten, das Mittagessen aus einem Salat und einer vegetarischen Lasagne zu essen, weil es Gemüse enthielt. Viele wussten auch nicht, dass Zucker Diabetes auslösen kann. Aber alle ihre Väter und Grossväter leiden an Diabetes. Da dämmerte es uns, dass Ernährung vielleicht etwas ist, worüber wir sprechen müssen.»
Trainingseinheit der Mitarbeitenden des Cafe Stepping Stone (Bild: Cafe Stepping Stone)
Tom erklärte auch, weshalb Sexualkunde auf dem Schulungsplan steht: «Die jungen Leute hier haben alle mit 13, 14, 15 Jahren bereits Kinder. Sie wurden nie informiert über Verhütung etc., weder in der Schule, noch von ihren Eltern. Darum bringen wir ihnen bei, was Familienplanung bedeutet und warum es gut ist, mit Kindern zu warten, bis sie eine Ausbildung abgeschlossen haben. Verhütungsmittel sind hier zudem recht teuer, also stellen wir ihnen Kondome zur Verfügung.»
-> Mit der Lernaufgabe «Personalmanagement in einem Sozialunternehmen» können die Lernenden im Wirtschaftsunterricht die Elemente des Personalmanagements des Cafe Stepping Stone genauer analysieren.
Und dann kam das Coronavirus
Auch das Cafe Stepping Stone wurde von der Corona-Krise hart getroffen. Die Stadt Cartagena, in der 24 % der Arbeitnehmenden im Übernachtungs- und Erholungssektor tätig sind[2], führte am 24. März eine Quarantäne ein (Genaueres im Blogartikel «Corona auf Kolumbianisch»). Das Café ging in die Zwangspause. Vergangene Woche las ich dann auf der Facebook-Seite des Cafés, dass es seine Tore per 4. Mai für immer geschlossen hat. So ordentlich und seriös, wie es gewirtschaftet hatte, wollte es auch seine Schliessung abwickeln, nämlich zu einem Zeitpunkt, wo es noch alle Verpflichtungen gegenüber den Mitarbeitenden einlösen konnte.
Das Tragische an der Situation ist, dass Cesar, Yarinis, Oberto & Co. nun wieder ohne Arbeit, Einkommen und Perspektive dastehen. Mit so vielen Personen auf Jobsuche wird es für sie nach Corona umso schwieriger, wieder Fuss zu fassen. Die Stadt Cartagena hat zwar an Tausende der ärmsten Familien Nahrungspakete verteilt, jedoch fehlen nachhaltigere Hilfen wie Kredite für Unternehmen, Arbeitslosengelder etc. Wer etwas beitragen möchte: Unter GoFundMe sammeln Tom und seine Mitstreiterinnen Spenden, die direkt an die ehemaligen Mitarbeitenden gehen. Ich kann dies aus ganzem Herzen empfehlen!
[1] http://www.cartagenacomovamos.org/nuevo/como-vamos-en/pobreza/
[2] http://www.cartagenacomovamos.org/nuevo/reactivacion-economica-en-cartagena-covid-19/
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